Column

Madhavi & das Leben // Der Polizist, Bowie und ich

12. Januar 2016
Madhavi Guemoes

Montage sind generell keine Stimmungskanonen, gerade im Januar. Der gestrige Montag hatte es in sich. Es war früh am Morgen, ich hatte schon Erleuchtung beim Meditieren gesucht, einen Matcha Latte gekippt und meine Kinder zart ermahnt, sich zu beeilen.

Da klingelte es plötzlich an der Tür. Polizei. Ich schaute durch das Guckloch, um den dürren Herrn an der Tür zu identifizieren. Es war schließlich erst 7.15 Uhr, da macht man nicht einfach so die Pforten auf.

Er sagte: Polizei. Ich erwiderte: Ich glaube ihnen nicht. Er drehte sich um und zeigte mir sein Polizistenjäckchen. Ich sagte: Ich glaube ihnen wirklich nicht, so ein Jäckchen kann man sich sicher überall besorgen. Zeigen sie mir ihren Ausweis. Er pulte leicht genervt seinen Ausweis aus der Tasche. Ich schielte prüfend drauf, nicht wirklich sicher, ob er mich antüdelt.

Ich war leicht erschrocken, denn ich dachte erst, meinem Mann wäre was passiert. Der ist nämlich gerade in Spanien. Ich öffnete die Tür einen Spalt und fragte, was denn so früh los wäre. Er meinte: Sie sind ja misstrauisch. Ich nickte.

Vor ihrer Tür gab es einen Unfall, keine Sorge, nichts passiert, doch das Tor, das Tor wäre kaputt. Nur, dass ich Bescheid wüsste, sagte er. Ich atmete erleichtert durch.

Als ich meinen Rechner startete, dachte ich: Was zum Henker haben die heute alle mit David Bowie. Es dauerte, bis ich schnallte, dass er sich heimlich vom Acker gemacht hatte.

Ich war traurig. Ich erlebte David Bowie vor Jahren auf einem ellenlangen Konzert in Berlin. Ich war viel zu früh vor Ort, setzte mich auf einen Stuhl und schaute auf die Bühne. Da saß ein Mann, hinten in der Ecke auf einer Box – und meditierte. Wie schön, dachte ich.

Nach 1,5 Stunden begann endlich das Konzert. Der Mann auf der Box erhob sich und begann zu singen. Bowie war also die ganze Zeit auf der Bühne gewesen, hatte sich einmeditiert, oder was auch immer. Das berührte mich total.

David Bowie war für mich unsterblich. Nun ist er tot. Mausetot. Ich dachte nach. Wenn es Bowie trifft, dann kann es uns alle treffen.

Das vergessen wir leider viel zu oft, vertrödeln das Leben, als wäre es unendlich, sagte ich mir selbst. Wir müssen aufwachen, nicht zu viel nach rechts und links schauen, uns frei machen von Konditionierungen, die uns einengen und nicht atmen lassen.

Mehr Zeit mit unseren Liebsten verbringen. Mehr Licht in unser Herz hineinlassen. Denn irgendwann sind wir alle futsch.

Unsere Träume nicht gelebt, weil wir zu ängstlich waren. Keine Fülle erlaubt, denn das tut man ja  nicht. Jeden Abend aufs Neue auf das gemütliche Sofa geklettert, über das Leben geklagt.

Immer, wenn jemand stirbt, der mein Leben lang da war, werde ich melancholisch. Dabei geht es gar nicht so sehr um die verstorbene Person, meistens jedenfalls nicht, es geht um die eigene Sterblichkeit. Und der sollten wir uns immer wieder mal zwischendurch bewusst werden, damit wir das Leben wieder mehr schätzen. Oder es mit Bowies Worten zu sagen:

As you get older, the questions come down to about two or three. How long? And what do I do with the time I’ve got left?

x Madhavi

©Maria Schiffer.

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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  • Susi
    12. Januar 2016 at 11:14

    Wunderschön und sehr berührend! Danke <3

  • Carina
    12. Januar 2016 at 11:46

    wunderschön geschrieben!!!DANKE!!!

  • Joanna
    12. Januar 2016 at 11:50

    danke. mir ging es gestern sehr ähnlich wie dir und auch heute ist der tag wieder so melancholisch unterlegt. ja, david bowie begleitet auch mein leben seit ich bewusst musik höre und ich bin sehr traurig. und auch mir geht durch den kopf, unser leben in dieser form und auf diesem planeten ist endlich und viel zu kostbar, um zu jammern und die zeit auf dem sofa zu vergeuden. es gibt so viel schönes zu sehen und gutes zu tun. in diesem sinne, hab einen schönen tag. liebe grüße joanna

  • Katrina Friese
    12. Januar 2016 at 11:54

    Vielen Dank, ich hätte es nicht besser denken können!

  • Michaela
    12. Januar 2016 at 12:10

    —ach ja, ich dachte auch Bowie würde ewig leben …. und plötzlich ist man mal wieder mit der lieben Sterblichkeit konfrontiert…

  • anne
    12. Januar 2016 at 12:30

    Du sprichst mir aus der Seele,was stellen wir noch an mit unserer Zeit?Soviel Unwichtiges was uns täglich beschäfftigt,es immer wieder wertvoll darüber nachzudenken was uns wirklich wichtig ist und das ist meisten gar nicht so viel,ein friedvolles liebevolles Miteinander

  • Kiki
    12. Januar 2016 at 12:35

    So wahr. Und so schön geschrieben. Freuen wir uns über den Moment. <3

  • Christine
    12. Januar 2016 at 12:45

    Danke, du triffst es immer wieder auf dem Punkt. Ich schätze dein Authentisches sein & ich freue mich über weitere Beiträge von dir. Schönes neues Jahr 2016 an alle. Herzlichst Christine

  • Hanna
    12. Januar 2016 at 13:20

    Wunderbarer Artikel. Danke fürs Erinnern.

  • urbanyogamum
    12. Januar 2016 at 13:24

    Danke, für diese nette Erinnerung, bewusst und mit allen Sinne zu leben.

  • Marina
    12. Januar 2016 at 14:00

    Einfach nur schön geschrieben, liebe Madhavi! So traurig es auch ist, ich musste bei vielen Sätzen einfach nur lächeln und mich selber schütteln, das Leben immer wieder neu zu genießen! Denn irgendwann sind wir oben bei David und meditieren. Naja, vielleicht auch gar nicht so schlecht 🙂

  • Irina
    12. Januar 2016 at 15:57

    Ein wunderschöner Blogpost! Ich bin gerade erst 31 und irgendwie wird mir das Endliche im Leben Tag für Tag mehr bewusst. Wie verbringe ich die restliche Zeit in meinem Leben noch?! Denn es geht doch alles so schnell vorbei…
    Liebe Grüße und danke für diesen berührenden Text,
    Irina

  • steffimanca
    13. Januar 2016 at 8:46

    Sehr schön geschrieben … auch mich macht es immer sehr melancholisch, wenn jemand geht. Letztes Jahr mein lieber Stiefpapa mit 66 Jahren viel zu früh und viel zu plötzlich … auch das ist mit ein Grund, warum ich mittlerweile einfach tue, worauf ich Bock habe und es mich nicht interessiert, was andere davon halten.
    2016 steht bei mir für ein Jahr, in dem ich mir einen langgehegten Wunsch erfülle … einfach so. Ich möchte später nicht sagen „Hätte ich damals mal …“.
    LG Steffi

  • Kaja
    13. Januar 2016 at 11:36

  • Marion
    13. Januar 2016 at 19:53

    Ja, es wird auch ein Leben nach David Bowie geben. Genauso wie es ein Leben nach Udo Jürgens und vielen anderen Fixsternen gibt, die seit meinen ersten Erinnerungen einfach da waren.

    Um es einfach mit Davids Worten zu sagen: As you get older, the questions come down to about two or three: How long? And what do I do with the time I’ve got left?

    Liebe Grüße, Marion

  • Tina
    13. Januar 2016 at 22:40

    Wie wahr! Sehr schön geschrieben ♥

  • Christine
    13. Januar 2016 at 23:04

    am montag bin ich durch berllin gelaufen und war irgendwie irritiert, die ganze zeit, bis ich verstand warum: ich war einfach nie nie nie davon ausgegangen, dass bowie sterblich sein könnte. das passt nicht zusammen. und dann sowas.

  • nadineishmawi
    16. Januar 2016 at 15:15

    … Danke für Deinen Artikel – sehr passend zum Januar und Montage! Ich habe am Montag das erste mal seit wochen wieder mein Radio angestellt und just in dem moment kam die Schreckensmeldung von bowie. Mich hat der Superstar auch sehr lange begleitet,..

  • BirkenBär BirnBaumBart
    15. Februar 2016 at 18:09

    Es wird derzeit aber auch daran geforscht wie Langlebigkeit erreicht werden kann bzw. wie man das Altern biologisch aufhalten oder sogar komplett ausschalten kann – ja sogar: ob Menschen „ewig“ leben können (körperlich). In unser aktualen Welt haben alle Menschen die Eigenschaft sterblich zu sein. Wenn es in Zukunft aber verschiedene Formen von menschlicher Langlebigkeit gäbe wie z.B. 200, 400, 500, 1000, 2000, 10000 oder zehntausende Jahre oder anders ausgedrückt: wenn Menschen die Eigenschaft verlieren würden sterblich zu sein, wenn also alle Menschen zukünftig de facto oder potienziell unsterblich wären, dann hätten diese Menschen sicher einen ganz anderen Begriff von Sterblichkeit und definitiv einen ganz anderen Erfahrungshorizont. Die biologische Unsterblichkeit würde die Gesellschaft auf vielen Ebenen verändern. Ich glaub‘ ich hatte schon einmal ein Buchtipp bzgl. Sterblichkeit bzw. Unsterblichkeit gepostet: http://www.suhrkamp.de/buecher/ueber_den_vermeintlichen_wert_der_sterblichkeit-marianne_kreuels_29750.html
    Es liest sich leicht und ist auch ohne Philosophiestudium verstehbar.

    Schade daß ich Bowie nie live erlebt habe

    R.I.P. return if possible